Ich bin von der Setliste enttäuscht. Ich weiß – mittlerweile gehört sich das nicht
mehr, derlei Befindlichkeiten zu äußern. Udo ist 80 Jahre alt, geht immer noch auf Tournee, das muss
reichen. Welche Lieder er da aussucht, sollte keine Rolle mehr spielen, und im Prinzip stimmt das ja
auch. Aber diesmal beschleicht mich zum ersten Male ein Gefühl, das ich kaum auszusprechen wage: Die Setliste
langweilt mich über weite Strecken. Woran das liegt? Es fehlen mir die Überraschungen, das Besondere, was die früheren Konzerte ausgezeichnet hat. Immerhin: Das neue Album steht im Mittelpunkt. Das ist auch gut so, denn es ist ein gelungenes Album.
Warum der durchaus mitreißende (ich muss meine Meinung hier entgegen früherer Äußerungen eindeutig revidieren) und der Tour den Namen gebende Song „Mitten im Leben“ lediglich in einem Medley auftaucht, verwundert mich ein wenig. Ich hätte angenommen, der Song zieht sich durch das Konzert wie ein roter Faden (wie bei „Einfach ich“, „Geradeaus“ oder „Gestern –Heute-Morgen“) und hätte sich dafür auch durchaus angeboten. Aber das ist nur eine Randnotiz.
Nein, was ich nicht verstehe, das ist, dass Udo etliche Songs zum x-ten Male auftischt, obwohl sie teilweise bereits mehrfach brillant live aufgeführt wurden:
„Die Welt braucht Lieder“ = zuletzt 2005 gespielt, aber immerhin: ein tolles Lied, das noch nicht so oft zu hören war.
„Der gekaufte Drachen“ = An diesem Lied hat Udo einen Narren gefressen. Ich vermute, dass er das Lied so gerne spielt, weil sein Gesang hier besonders eindrucksvoll zur Geltung kommt und das Lied auch textlich überzeugt. Hier findet er beim Publikum auf jeden Fall Zustimmung. Zuletzt live gespielt: 2010.
„Matador“ = von seinen 60er Jahre-Liedern zweifellos ein besonders gutes, aber auch dieses hatte sein großes Comeback bereits bei den Solokonzerten 2005 und 2007, wo er es bis zum Geht-nicht-mehr zelebrierte
„Ich bin dafür“ = zuletzt gespielt 2004
„Jeder so wie er mag“ = zuletzt gespielt 2005, abgesehen davon gehört es mit seinem sehr schlüpfrigen Text für mich nicht zu Udos ganz großen Liedern
„Die Krone der Schöpfung“ = natürlich ein großes Werk, aber (wie er selbst immer wieder betont) für ein Sinfonieorchester geschrieben. Sein Plan ist es ja, es im Rahmen der Triologie mit einem solchen Orchester noch einmal zu präsentieren. Warum dann jetzt eine halbherzige Version mit Pepe Lienhard, wie wir sie schon 2001 gehört haben?
„Hautnah“ = schon gefühlte 1000 Mal gehört
„Ich würd es wieder tun“ = zuletzt 2005 gespielt
„I can I will“ = zuletzt gespielt 2006
Tausend Jahre sind ein Tag“ = zuletzt gespielt 2010
„New York“ = schon wieder in einer Maxi-Version, dabei dachte ich nach der letzten Tournee, das hätten wir hinter uns. Ich kann das Lied einfach nicht mehr hören, sorry!
„Griechischer Wein“ = klar, ich hab es noch nicht gehört, aber eine langsame Komplettfassung hatten wir schon 1992 – und die war nach mehrmaligem Hören gähnend langweilig.
Was bleibt an Überraschungen? „Die Sonne und Du“ (was aber nicht wirklich ein Highlight sein kann), „Immer wieder geht sie Sonne auf“ (klingt nach Peters Beschreibung ansprechend und interessant) und vielleicht noch „Anuschka“ und „Mathilda“ – Songs, die man länger nicht gehört hat, aber lediglich im Medley eingebunden. Reicht das? Ich erinnere an 1997, wo er überraschend „Jenny“ präsentierte (wunderschöne Live-Fassung) und nach langer Zeit noch mal „Tausend Jahre“. 2004 war DAS Überraschungsjahr: „Alles was ich bin“, „Der Schrei des Löwen“, „Eine Hand ist keine Faust“, „Donnerstag“ und „Ein Narr sagt Dankeschön“. 2009 grub er die „Schwalben“, „Tante Emma“, „Alles im Griff“ und das „Narrenschiff“ noch mal aus. 2012 immerhin „Noch drei Minuten“ und „Mein Bruder ist ein Maler“. Zuletzt auch interessant: seine „verschraubten“ Lieder: Ehrenwertes Haus/Leute – Nur ein Lächeln/Smile- Flieg mit mir/Fly away. Ich erinnere auch an tolle Übergänge, z.B. der Opener von der Udo 80 Tour. Wie viele Lieder wurden da verwoben? Ich glaube 3. Oder der Opener von 94/95. Die ersten 3 Lieder gehen alle ineinander über. Das fand ich genial.
Die Liedauswahl wäre zu verstehen bei einem Künstler, der nur eine handvoll guter Lieder im Repertoire hat. Aber Udo hat so unendlich viele andere Songs, die (wie er selbst bezeichnet) im Schatten stehen und dort auch offensichtlich bleiben sollen. Ich nenne nur ein paar wenige Beispiele:
1) Statt zum x- Male „I can I will“ könnte er doch mal „Einmal wenn du gehst“ bringen. Auch ein tolles Duett, das sogar Leuten gefällt, die Udo sonst eher meiden. Klingt unglaublich modern (bereits in der 70er Fassung). Hat er das jemals schon mal im Programm gehabt?
2) Gerade im Zuge der neuen Ost-West-Spannungen wäre „Moskau-New York“ ein interessanter Titel gewesen – ein Lied, von dem Hans Dietrich Genscher schon so oft gesprochen hat. Vielleicht müsste man den Text leicht ändern. Noch nie hat er das Lied live gespielt.
3) „Adler sterben“ = tolles Lied, auch noch nie live gespielt
4) „Oktoberwind“ = hatte ich schon beim letzten Mal vermisst, jetzt fehlt es schon wieder, wäre ein klasse Opener
5) „Reach for he stars“ = gerade durch den Fagott-Film wieder in Erinnerung, könnte auch ein tolles Duett hergeben, aber auch eine Udo solo Fassung existiert auf „Porträt in Musik“
6) „Sternstunden“ = hat es damals leider nicht auf das Live-Album geschafft - toller Song, der in Vergessenheit geraten ist
7) Oder – mal ganz ausgefallen: „Adagio“ oder „Tausend Fenster“ oder ähnliche ganz alte Braten aus den 60ern.
Die Liste ließe sich von uns allen lange weiterführen. Warum reduziert Udo sein Gesamtwerk so?
Hat er selbst überhaupt einen Überblick darüber? Ich denke doch. Warum zeigt er nicht, was er alles in der Schublade hat? Warum überrascht er sein Publikum nicht mehr? Gefallen ihm diese Lieder nicht mehr? Wie seht ihr das?