Udo Jürgens im Hallenstadion - Ein bisschen Rilke
«Mitten im Leben» – so lautet der Titel des letzten Albums und der laufenden Tournee von Udo Jürgens. Im Hallenstadion präsentierte sich der 80-jährige Sänger als Mann in den besten Jahren.
Was hat Udo Jürgens mit der Sängerin Nicole gemein? Der Österreicher gewann 1966 den Eurovision Song Contest mit «Merci, Chérie». 1982 triumphierte die Siebzehnjährige mit «Ein bisschen Frieden». Dem Entertainer, der seit 2007 auch einen Schweizer Pass besitzt, gelang eine ganze Reihe weiterer Hits, die das französische Dankeschön an die Liebste in der Folge beinah vergessen liessen, während an Nicole ihr Siegertitel mehr als nur ein bisschen kleben blieb.
In den besten Jahren
«Lieder zeichnen die Wege meines Lebens», wird im Hallenstadion in Schreibschrift – ist es Udos? – auf die Leinwand projiziert. Das Licht geht aus, das Licht geht an, und da steht er leibhaftig: Udo Jürgens, 80 Jahre alt. Das Haar noch immer voll, die Haltung eines Mannes in den besten Jahren würdig. «Mitten im Leben», unter diesem Motto steht seine 25. Tournee durch das deutschsprachige Europa, ebenso heisst auch das in diesem Herbst erschienene Album. «Es ist schön, hier zu Hause zu sein», scharmiert er und eröffnet mit «Die Welt braucht Lieder».
Ans Publikum gewandt, betont Udo Jürgens die Wichtigkeit des ersten Eindrucks. Diese manifestiert sich im Lied «Was ich gerne wär' für dich»: «Deine Insel aus Gefühl / Dein Weg zu jedem Ziel / Das Ja bei jedem Nein / Möcht' ich für dich sein.» Es folgt ein deutsch-englisches Duett mit der stimmgewaltigen Dorothea Lorraine aus New York City, «Das Leben bist du», bevor der Sänger die Abhörmethoden unter befreundeten Nationen als «eine ganz neue Qualität des Misstrauens» an den Pranger stellt. «Wichtig ist, dass unsere persönlichen Daten persönlich bleiben.» «Der gläserne Mensch» endet mit den sinnigen Zeilen: «Wer es auch ist, der diese Welt / in seinen Händen hält / Hoffentlich merkt er irgendwann / Dass Glas zerbrechen kann». Scherben bringen also nicht zwangsläufig Glück.
Der nächste Titel wagt sich auf Tuchfühlung mit dem Kitsch vor: «Der gekaufte Drachen» beschreibt ein Melodrama zwischen Vater und Sohn, der Sohnemann klagt sein Leid, der Papa schenke ihm keine Zeit. Als zweite Anklägerin fungiert eine schluchzende Geige. Wem bisher noch nicht aufging, dass Udo Jürgens ein Botschafter der Herzen ist, dem ist kaum mehr zu helfen. Die letzte Komposition vor der Pause, eine sinfonische Dichtung namens «Die Krone der Schöpfung», wurde einst mit dem Segen Herbert von Karajans durch die Berliner Philharmoniker eingespielt, jetzt meistert sie das Pepe-Lienhard-Orchester.
Kritik an Kritikern
En passant bekommen die Kritiker eins auf den Deckel. Sie würden in ermüdender Regelmässigkeit schreiben, das Publikum käme erst bei den ersten Hits so richtig in Fahrt. So richtig Fahrt aufgenommen wird aber tatsächlich erst in der zweiten Hälfte des Konzertabends: «Griechischer Wein», «Ich war noch niemals in New York», «Ein ehrenwertes Haus», «Aber bitte mit Sahne», «Mit 66 Jahren» und unter den Zugaben schliesslich auch noch «Merci, Chérie». Ein Zusatzkonzert an gleicher Stätte, am 8. März 2015, ist bereits zu 82 Prozent ausgebucht.
Zum Motto des Abends passt Rainer Maria Rilkes «Schlussstück»: «Der Tod ist gross. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns.» Geweint hat er nicht. Vielleicht eine Träne verdrückt.
Quelle: nzz.ch