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Samstag, 7. Oktober 2023, 10:44

40 Jahre "Traumtänzer"

Traumtänzer - was ist das doch für ein schönes Wort! Der Duden erklärt es als einen wirklichkeitsfremden Träumer, der kaum erreichbaren Idealen nachhängt. Ja und? Möchte man nicht manchmal vor der Wirklichkeit mit all ihren schlechten Nachrichten, die einen täglich beim Lesen der Zeitung förmlich anspringen, einfach entfliehen? Oder vielmehr – möchte man nicht einfach an das Gute im Menschen glauben, und dass wir es schaffen können, die Erde zu einem guten, zumindest einem besseren Ort zu machen? Ein Traumtänzer ist jemand, der sich von dieser Wirklichkeit nicht unterkriegen lässt, der ein unverbesserlicher Optimist ist und jemand, der die Hoffnung einfach nicht aufgibt – und so ein Mensch war Udo Jürgens. Nichts lag also näher, als seinem Album im Jahr 1983 konsequenterweise den Titel „Traumtänzer“ zu geben.

Er selbst schrieb im Rahmen der Vorstellung des Albums damals „je näher die Welt zusammenrückt auf unserem blauen Planeten, desto weiter werden die Entfernungen von Mensch zu Mensch - je reicher der Verstand wird an Know-how, desto ärmer wird das Gefühl an Phantasie – je kleiner das Selbstbewusstsein der Völker wird, desto größer werden ihre Waffen, und eine mögliche Harmonie dieser Gegensätze wird immer utopischer.“ Udo traute es den als Narren und den als Spinnern verspotteten, passionierten Optimisten am ehesten zu, die zunehmende Kluft zwischen Wirklichkeit und Traum zu überwinden. Mit seinem Album wollte er musikalische Luftbrücken bauen und er bat darum, gemeinsam mit ihm über diese zu gehen – auf seine Gefahr...

Ich glaub noch an das Gute in uns allen
Und darin bin ich unverbesserlich.
Ich glaub wir lassen alle Waffen fallen
Und unsere ganze Welt entrüstet sich.

Ein Traumtänzer bin ich


Das Album hat einen modernen Synthesizer Sound im Stil der 80er Jahre und mit seinen neun neuen Titeln war es ein großes Stück Arbeit für Udo Jürgens. Er investierte nach eigenen Angaben etwa 400 Stunden darin und damit doppelt so viel Zeit, wie in andere Alben. Er wollte es einfach ganz besonders gut machen, und so produzierte er das Album auch selbst, um seine Ideen genau so verwirklichen zu können, wie sie ihm vorschwebten. Er wollte sich nach eigenen Angaben lösen von den Vorgaben professioneller Produzenten, die Trends verfolgten und den Künstlern wenig Raum für spontane und originelle Ideen ließen. Als Beispiel nennt Udo dabei sein gepfiffenes Intro zu dem mit rhythmischen Reggae-Melodien Urlaubsstimmung verbreitenden Lied „Die Sonne und Du“. Er gibt zu, dass er nunmal garnicht pfeifen könne, was ein gewissenhafter Produzent ihm nicht hätte durchgehen lassen. Tatsächlich ist dieses Intro erfreulich unperfekt für einen Perfektionisten, wie Udo Jürgens einer war. „Die Sonne und Du“ wurde zusammen mit dem Lied „Angela“ als erste Single des Albums ausgekoppelt und von Udo am 15. Oktober 1983 in der ZDF-Sendung „Wetten, dass?“ präsentiert.

Das war ein Super-Sommer in jedem Augenblick
Wir ließen uns're Träume einfach schweben
Und wenn mich heute einer fragt
"Wie definierst du 'Glück'?"
Dann brauch ich gar nicht lang zu überlegen:

Die Sonne
Die Sonne und du
Gehörn dazu


Mit Udo Jürgens im Powerplay-Studio Zürich-Maur, an einem wunderschönen See gelegen, waren im Herbst 1983 einige Musiker des Pepe Lienhard Orchesters, der Begleitband von Udo auf allen Tourneen seit 1982 (u.a. neben dem Bandleader Pepe Lienhard am Alto-Saxophon der Drummer Peter Lübke, Percussionist Billy Todzo, Gitarrist Francis Coletta, Keyboarder und Arrangeur Georges Walther und das Streicher Ensemble von Christian Fink). Toningenieur war der Engländer Jimmy Duncombe, der mit seiner Beatband in den 1960er Jahren recht erfolgreich war und mit dieser unter anderem als Vorgruppe der Beatles und der Rolling Stones auftrat.

Das Coverfoto von Udo am Strand und mit Blick auf die glitzernden Wellen stammt wieder von Udos Bruder Manfred Bockelmann. Ein weiteres Foto befindet sich auf dem Platteninlay, es stammt von Udos Frau Panja. Auf diesem sieht man die Sonne, die durch düstere Wolken über dem Meer hindurch scheint – die Wolken sehen dabei einem Atompilz nicht unähnlich. Droht uns der atomare Untergang? Eine Schwalbe im Vordergrund bringt zum Glück die Hoffnung zurück, dass die Katastrophe ausbleiben wird. Davon handelt auch das Lied „Die Schwalben fliegen hoch“ (Text von Friedhelm Lehmann).

Man sagt, der ganzen Herrlichkeit
Ist schon das Ende prophezeit
Mag sein, die Pessimisten haben recht.
Uns beide aber fragt man nicht
Komm her, wir rücken dicht an dicht
Und schenken uns ein Glas vom besten ein.
...
Wer sagt, das "Aus" ist angesagt,
Der hat uns beide nicht gefragt,
Für uns fängt jeden Tag ein Frühling an:
Der nächste Sommer steht bestimmt ins Haus
Die Schwalben wollen wieder hoch hinaus

Die Schwalben fliegen hoch!


Ein sehr persönliches Lied ist „Lebe wohl mein halbes Leben“ mit einem sehr lyrischen Text von Friedhelm Lehmann. Darin blickt Udo auf eine Beziehung, die zu Ende geht, aber die Trennung geschieht nicht im Streit. Was bleibt – oder bleiben soll – ist eine Freundschaft und die Erinnerungen an die vergangene, glückliche Zeit.

Lebe wohl, mein halbes Leben
Heute geben wir uns frei.
Lebe wohl, mein Herz wir scheiden,
Doch wir leiden nicht dabei
...
Unser Glück war unvereinbar
Und der Schein war trügerisch.
Im Lokal der Glücksgefühle
Steh'n die Stühle auf dem Tisch.
...
Laß uns gute Freunde bleiben,
Uns besuchen, Briefe schreiben.
Wenn wir auseinandertreiben,
Dann bitte nicht zu weit,
Bis zum Abend uns'rer Zeit.


Weitere Lieder des Albums sind die humorvoll-ironisch-verzweifelte Liebesgeschichte mit "Angela" (A-Seite der ersten Singleauskopplung), das ebenso ironische - aber mit einer gehörigen Portion Sarkasmus und einem Text von Wolfgang Hofer – „Hallo Promille“ über das Thema Alkohol am Steuer (B-Seite der zweiten Single Auskopplung) und „Entschuldigung, wo geht's hier zur Hölle? (Sieben mal sieben)“ (A-Seite der zweiten Singleauskopplung). In letzterem Lied geht es um eine ungewöhnliche Mann-Frau-Beziehung. Der Mann ist seiner Geliebten so hörig, dass er lieber mit ihr die Hölle durchmacht, als allein den Weg ins Paradies zu gehen. Texter Michael Kunze nannte es "eine tragische Liebesgeschichte" gemäß den damals zur Vermarktung an die Radiostationen und Musikjournalisten verbreiteten Informationen. Das das Lied sei „kein leichter Schlager, sondern vom Inhalt her - Sigmund Freud läßt grüßen! - ein differenzierter Beitrag zum psychologischen Geschlechterkampf. Die Realität der Liebe ist eben nicht immer so schön, wie sie sonst oft in Schlagern besungen wird...“. Der Text zu dem Liebeslied „...will ich mit Dir“ stammt wieder von Friedhelm Lehmann und somit ist dieses Album so sehr von seinen wunderbaren Texten geprägt, wie sonst keines. Sehr politisch wird es in dem Lied „Bruder, warum bist Du nicht mehr mein Bruder“. In diesem besingt Udo zu einem weiteren Text von Friedhelm Lehmann die Beziehung zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Udo verwendete zwar nicht den Begriff ‚Bruderstaat‘ (dieser wurde in der DDR für befreundete sozialistische Länder verwendet) aber das Wort Bruder verwendet er sehr wohl.

Bruder, warum bist Du nicht mehr mein Bruder?
Freund, warum darfst du mein Freund nicht mehr sein?
Liebste, wen küßt du, du treuloses Luder?
Mensch, laß doch wieder die Liebe ans Ruder
Zwischen Frankfurt an der Oder und Frankfurt am Main.


Interessant ist auch, dass ein Lied aus den siebziger Jahren auf dem Album eine Neuauflage erfahren hat. In „Ich weiß, Du könntest meine Tochter sein“ (Text von Michael Kunze) spricht Udo diesmal seine junge Freundin direkt an, während in dem Original von 1975 noch über eine Frau in der dritten Person gesprochen wurde. Udo war zu diesem Zeitpunkt bereits fast fünfzig Jahre alt.

Zur Promotion des Albums hatte sich Udos Manager Freddy Burger etwas besonderes ausgedacht. Mit einem Hubschrauber wurde der Schimmel-Glasflügel von Udo auf das mehr als 3.500 Meter hohe Jungfraujoch in den schweizer Alpen geflogen. Er sang das Lied „Traumtänzer“ während der Hubschrauber über ihm flog und ihn dabei filmte, mit einem weißen Smoking und darunter einem Taucheranzug gegen die extreme Kälte. Udo erinnert sich daran in seinem Buch „Smoking und Blue Jeans“.

Nur die erste der beiden Singles konnte sich damals in den Charts platzieren und das Album erreichte Platz 24, allerdings nur in Deutschland. In Österreich und der Schweiz kam es garnicht in die Charts. Das Album „Traumtänzer“ ist das erste, welches auch als Compact Disc (CD) veröffentlicht wurde. Darüber hinaus natürlich auch als Langspielplatte (LP) und MusiCasette (MC).

Fazit: Das Album „Traumtänzer“ trifft auf ein geteiltes Echo unter den Fans und brachte keinen großen Hit hervor. Dennoch sollte es insbesondere aufgrund der tollen Texte von Friedhelm Lehmann mal wieder auf den Plattenspieler gelegt werden (oder gestreamt...).

© Text: Daniel Speck

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Samstag, 7. Oktober 2023, 12:12

Merci Daniel, für diesen wunderschönen und fundierten Beitrag.

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Sonntag, 8. Oktober 2023, 23:39

kopien

also ANGELA(mir hat der Titel damals sehr gut gefallen) war eine Kopie von Every breath you take...in weiten Teilen.

Die Sonne und du war eigentlich Sunshine reggae eines dänischen Duos.

Dieser Platte fehlte der fähige Produzent. Heider, wohl sein kreativster und kommerziell erfolgreichster Produzent war weg. Weshalb es dazu kam, hat Heider ja in einem Interview geschildert. Der sehr gute Harold Faltermeyer war weg. Harold hat hervorragend produziert. Allerdings kam nie so recht ein Hit raus.Die Verkaufsergebnisse unterdurchschnittlich. Ponger warf nach nur einer single das Handtuch.Udo hatte damals einfach keinen Produzenten Ich empfand die LP musikalisch enttäuschend. Wiewohl, wie Du geschrieben hast, Lehmann großartig getextet hat.

Ein Jahr später kam Peter Wagner...und ...Hautnah war ein superseller

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Montag, 9. Oktober 2023, 16:06

Ja, das Album Traumtänzer war zwar nicht der große Verkaufserfolg, es enthält aber viele große Melodien und Texte, die bis heute Bestand haben.
Einzig der Song Angela fällt deutlich ab. Den fand ich schon vor 40 Jahren schlimm. Wie sagte der Meister doch einst selbst:"bei den vielen Liedern die ich geschrieben habe, waren auch sicher ein paar Gurken dabei". Angela zähle ich ganz klar dazu.

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Montag, 9. Oktober 2023, 20:04

Angela fand ich gut. es wahr halt eine Kopie von Every breath you take...in weiten Teilen. Bei diesem Titel war Jürgens aber dennoch an manchen Stellen Udo Jürgens!

Schlimm empfand ich Die Sonne und du. Ein dumpfes Plagiat von Sunshine Reggae. Ein fähiger Produzent hätte dies nicht durchgehen lassen. Da half auch das Pfeifen am Anfang nicht.