Um das Kapitel "Helden, Helden" vorerst abzuschließen, hier noch zwei Artikel zu "Helden, Helden" - Inszenierungen in der ehemaligen DDR.
Ja, auch hier gelangte Udos Musical auf die "Bühnen der Republik", und es kam in der Kritik sogar weitaus besser weg, als beim westlichen Nachbarn:
>>Städtische Theater Leipzig
Helden, Helden
von Gmür / Hachfeld / Brandin / Jürgens
Musikalische Komödie, Leipzig 1975
Irgendwo auf dem Balkan findet Ende des vorigen Jahrhunderts eine militärische Auseinandersetzung statt. Dabei flüchtet sich ein Schweizer Berufssoldat ausgerechnet in das Haus des feindlichen Befehlshabers Major Paul Petkoff, genauer: in das Schlafzimmer von dessen Tochter Raina.
Obwohl diese mit Sergius Saranoff verlobt ist, dem offensichtlichen Bild eines heldenhaften Kriegers, und obwohl der Flüchtende, Bluntschli, sehr unsoldatische und unheldenhafte Reden führt, verbirgt sie ihn und verhilft ihm, den alten Hausrock des Hausherrn zur Verfügung stellend, zur Fortsetzung der Flucht.
- Der Krieg ist aus, die Männer kehren heim und werden von ihren Frauen heldenverehrt.
Aber auch Hauptmann Bluntschli, der als Angehöriger eines neutralen Landes bei den Waffenstillstandsverhandlungen gute Dienste leistete, taucht wieder auf, um den Rock bei den Damen abzuliefern.
Allmählich erfahren so die kriegerischen Herren, was in ihrer Abwesenheit zu Hause geschah.
Raina entscheidet sich am Ende gegen Sergius für Bluntschli, obwohl der alles andere als das Modell eines pflichtbewußten, ehrgeizigen, heldenhaften Soldaten ist.
Als George Bernard Shaw 1894 sein "erquickliches Stück" "Arms and the Man" schrieb, schien das Militär vornehmlich nur dem Zweck zu dienen, Paraden in prächtigen Uniformen abzuhalten. Der pazifistische Shaw stellte nicht die Schrecknisse des Krieges als Abschreckung dar, sondern wandte sich vor allem gegen die Anbetung der Uniform, lachte über die Absurditäten des Krieges und fragte aus vernünftigem Grunde, ob ein Mann im Frieden nicht nützlicher zu verwenden sei als im Kriege.
Bereits 1908 griff die Wiener Operette nach diesem Stoff: Oscar Straus' "Der tapfere Soldat" wurde im Habsburgischen Hoheits- und Kulturkreis ein Mißerfolg.
1972 fand, wiederum in Wien, die Uraufführung einer neuerlichen Adaption, diesmal durch das Musical, statt. Als Komponist und zugkräftigster Name des Autorenteams fungierte Udo Jürgens. Das Buch schrieb Hans Gmür, als Liedtexter standen ihm Eckart Hachfeld und Walter Brandin zur Seite.
"Helden, Helden" hat seinen unbestrittbaren Verkaufswert: Es besitzt vorzügliche Dialoge, vortreffliche Figuren- und Szenenentwicklungen und ist, gerade was den Einsatz von Musik betrifft, ein makellos gebautes Stück. Aber um so eindringlicher läßt die Anerkennung handwerklicher Meisterschaft die Frage aufwerfen nach der Berechtigung einer Aufbereitung dieses Stoffes für das heutige Theater. Genügt es, sich auf den Spötter Shaw zu berufen und seine damalige Satire gegen Militär und falsche Heldenverehrung und die Erfahrungen zweier Weltkriege in einem Stück, in dem es immerhin auch um Krieg, Leben oder Tod geht, so völlig unberücksichtigt zu lassen? (Musicals wie "Oh, What a Lovely War" und "Enrico 61" bewiesen doch bereits das Gegenteil.) Anders gefragt: Können uns gefällige Protestsongs in einer Lebensfrage genügen? Unterschreitet das Musical hier nicht seine Möglichkeiten und Chancen?
Die Leipziger Inszenierung Wolfgang Weits erfreute sich vor allem an den guten Dialogen, den Figurenzeichnungen und der klaren Handlungsführung. Das dramaturgische Funktionieren der Musik - deren Melodik und Rhythmik etwas einfallslos scheinen, deren Stärke vor allem in der Instrumentierung liegt - wurde in jeder Phase voll ausgenutzt, am augenscheinlichsten in den Balett- und Chorszenen (Choreographie Monika Geppert).
Bestimmend für die Inszenierung schienen mir aber vor allem das Bühnenbild Eberhard Keienburgs und diesem adäquat die Kostüme Dorothea Weinerts zu sein. Durch die gelungene Symbiose von Klarheit und Phantasie wurden viele der "erzählenden Arrangements" und der "typischen Haltungen" der Figuren von Bühnenbild und Kostüm geradezu notwendig erzwungen.
Fragen, die den insgesamt "erquicklichen" Eindruck dieser Inszenierung nicht wesentlich mindern können, tauchen bei der konzeptionellen Sicht einiger Figuren auf. Das Dienerpaar Louka (Christel Guck) und Nicola (Hans-Peter Schwarzbach) wurde als Vertreter des vierten Standes angesehen und schon äußerlich den Volkstypen der commedia dell'arte angenähert. Aber sowohl ihre Handlungen (Louka setzt z.B. alles daran, über ihren Stand hinaus zu heiraten) als auch ihre Songs (Nicola erkennt die Notwendigkeit der Besitzenden, damit es den Dienern gut ergehe) zeigen klar, daß es sich hier um korrumpierte Vertreter des "an sich so guten Volkes" handelt. Das war in Leipzig nicht zu sehen, wurde auch nicht kritisch bewertet. Zweifel an der Richtigkeit seiner Figurendarstellung hinterließ auch Karl Zugowski als Sergius. Wird er im ersten Teil, wenn er kaum auf der Szene ist, durch Raina groß "aufgebaut", so zerschlägt der Darsteller dieses Kapital sofort durch überdeutliches Ausstellen der Lächerlichkeit seiner Figur, er spielt die Kritik zu vordergründig mit. Uneingeschränktes Vergnügen bereiteten das Ehepaar Petkoff (Christa Nowak, Dieter Scholz) und ihre Tochter Raina (Margarethe Junghans, bei den musikalischen Nummern freilich in der Tiefe etwas überfordert). Eine regelrechte Entdeckung wurde Peter Vorwerg als Bluntschli, ihm schien die Rolle auf den Leib geschrieben.<<
Karsten Bartels ( Theater der Zeit, 02/1976 )
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Theater Stralsund
Helden, Helden
von Gmür / Hachfeld / Brandin / Jürgens
Regie: Werner P. Seiferth
Musikalische Leitung: Osmar Siegler
Ausstattung: Hermann Roloff a. G.
Theater Stralsund 1978
Es scheint, daß das Musical "Helden, Helden" nun doch auf unseren Bühnen heimisch wird (u. a. läuft es jetzt in Leipzigs Musikalischer Komödie seit der DDR-Erstaufführung schon die dritte Spielzeit mit gleichbleibendem Erfolg), und das ist eigentlich auch nicht verwunderlich, bietet es doch von der Shaw'schen Vorlage her eine Menge Witz und Gesellschaftskritik, mit denen Dummheit, Selbstgefälligkeit und romantische Heldenverehrung der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Demzufolge war der Librettist Gmür auch gut beraten, die Originaldialoge im wesentlichen beizubehalten. Und indem er durch Kürzungen die Handlung straffte, schuf er Möglichkeiten, gemeinsam mit Hachfeld und Brandin Lieder und Ensembles einzubauen, die ebenfalls Handlungsträger sind.
Dazu schrieb der sich durch kompositorische Vielfarbigkeit auszeichnende Udo Jürgens eine dramaturgisch durchdachte Musik, die entsprechend der notwendigen Personen- und Situationscharakterisierung folkloristische Elemente genauso berücksichtigt wie das "höfische" der Wiener Walzerseligkeit, was auch durch die eigenwillig-interessante Instrumentierung dokumentiert wird.
Daß die Stralsunder Inszenierung nicht alle Nuancen ausschöpfte, die dem Werk innewohnen, mag daran liegen, daß das Regieteam wohl in dem Bühnenwerk mehr eine Tendenz zur Operette sah und es demzufolge auch nach deren Arten und Unarten zu interpretieren suchte, angefangen von der Ausstattung - die sich in der Vielfalt volkskünstlerischen Kolorits verfing und eher zur gleichthematischen Show-Operette "Der tapfere Soldat" von Oscar Straus gepaßt hätte denn zu diesem sich echt mit gesellschaftlichen Verhaltensweisen auseinandersetzenden Musical - bis hin zur musikalischen Wiedergabe, die auch eher an Dostal oder Raymond erinnerte. In diesem Rahmen erwies sich aber das Petkoff'sche Drehscheibenhaus als sehr praktikabel - es garantierte den erforderlichen flüssigen Handlungsablauf.
Um die in seiner Konzeption herausgearbeiteten individuellen Figurenzeichnungen klar ablesbar zu gestalten, ergeben sich für den Regisseur gerade an solchen kleinen Drei-Sparten-Theatern wie Stralsund oft objektive Schwierigkeiten, ist er doch auf das meist stark begrenzte heimische Sängerpotential angewiesen, mit dem er dieses verwirklichen muß.
Innerhalb des sich insgesamt für das Werk engagiert einsetzenden Ensembles boten Klaus Dickhoff als Praliné-Soldat Bluntschli und Christina Sattler als Raina besonders bemerkenswerte Leistungen.<<
Dirk-Joachim Glävke ( Theater der Zeit, 06/1978 )
MfG,
Thomas2