Ich habe das Buch seit einigen Tagen und möchte Jens Hagestedt zunächst ganz ehrlich gratulieren.
Dieses Buch geht wie vorher kein anderes detailliert auf das Liedschaffen von Udo Jürgens ein und macht Lust, viele Lieder mit neuem "Ohrenmerk" auf die von Jens hervorgehobenen Details wieder zu hören.
Und was das ganz große Plus ist: Es fordert den Fan zum Widerspruch auf, aber eben zum konstruktiven Widerspruch. Das Buch ist so herrlich subjektiv!
(Man darf ein Urteil nur ja nicht persönlich nehmen. Jens richtet verbal einige Lieder in Grund und Boden, die zu meinen Lieblingsliedern gehören. Aber er begründet es wie ich finde schlüssig, und das ist zu respektieren. Er gibt seine Meinung wieder, kein "abschließendes Urteil der Musikgeschichte", das es sowieso nie geben wird.)
Grandios finde ich die liebevoll-respektvolle "Werbung" für die Lieder der 60er Jahre, zumal für die Lieder aus der Vogue-Zeit. Dies ist bisher nie so sensibel geschehen. Mit welcher detailfreudigen Hingabe Jens Liedstrukturen und Interpretationen, Arrangements und musikgeschichtliche Einordnung miteinander verknüpft, das liest sich einfach super, man "frisst" es und "schmeckt" die Lieder wieder mal völlig neu.
Jens betont sehr wohl seine eigene Udo Jürgens Sozialisation des jugendlichen und späten Fans und einer langen "Leerzeit" dazwischen. Er ist insofern absolut fair dem Werk gegenüber, und seine "Vernichtung" des Großteils von Udos Schaffen aus den 70ern ist absolut verständlich.
Ich bin seit 1977 Udo Jürgens Fan und seit 1980 Konzertbesucher, habe Platten etc. gesammelt und alle Tourneen mitverfolgt. Aus diesem durchgehenden "Fantum" heraus (meine erste Platte die ich damals aktuell als Neuerscheinung mitbekommen und sofort gekauft habe - damals gab es im Wiener Hotel Hilton noch ein Plattengeschäft - war die Single "Superstar") habe ich die LPs der 70er Jahre "unmittelbar rückwirkend" aufgearbeitet, mich sehr schnell mit Themen wie "Was ist nicht von Udo" und "Wieviele Texte sind von Kunze?" etc. befasst.
Ich versuche es jetzt mal positiver zu formulieren: Auch wenn es vor allem auf "Es ist Zeit für die Liebe", "Udo heute" und "Meine Lieder" allzuviel "siegelt" (sowohl kompositorisch als auch von den Arrangements her), finde ich, dass diese Platten einige der allerschönsten Lieder von Udo enthalten, die ich niemals missen möchte.
(Ich hatte einmal einen ganz seltsamen Alptraum: Udo hat eine Platte nur mit Fremdkompositionen herausgebracht - und die hat mir ausgesprochen gut gefallen, aber ich habe mich dafür geniert.)
Ich nenne jetzt mal "Ein Narr sagt Dankeschön", dieses grandiose Lied mit Musik und Text von Udo selbst, in der Originalaufnahme zu Beginn Schuberts "Unvollendete" zitierend und dann einen musikalischen und textlichen Bogen spannend, der jedem französischen Chanson zur Ehre gereichen würde, zudem (wie einige Tourneen bewiesen) ein ideales Konzertlied für Udo zwischen ganz persönlicher Erzählung und großem Entertainer-Abgang. Oder ich nenne eines der - pathetisch trau ich mich - schönsten deutschsprachigen Liebeslieder mit einem Text von Helga Brauneck: "Heut hab ich mich in dich verliebt". Das geheimnisvoll angehauchte "Denk nicht, dass ich weine" (auch Brauneck) könnte ich mir gut in einer mit Instrumentalteilen erweiterten Livefassung vorstellen. Oder ich nenne das irgendwie aus "Helden Helden" übrigggebliebene (Recherchen auf der GEMA Datenbank lassen diese Schlußfolgerung zu) "Jeder lügt so gut er kann" mit dem letzten Brandin-Text, den Udo 1974 als Lied veröffentlicht hat. Das ist einfach nur geistreich getextet und adäquat "klassisch" komponiert, ein Lied für Kabarett- genauso wie für Konzertprogramme.
Und über die LP "Udo 75" lasse ich nichts kommen, das ist für mich eine der in sich geschlossensten Platten, wo der "Siegel Sound" sogar sensibel passt, wo endlich wieder alle 12 Lieder von Udo selbst komponiert sind, wo mich nichtsdestotrotz stört, dass es bei "Eine Hand ist keine Faust" eigentlich sprachlich korrekt "anscheinend hast du ganz vergessen" heißen müsste, wo ich aber immer mitbedenke, dass einer der ersten Udo-Fernseheindrücke meines Lebens "Udo live - Ein Mann und seine Lieder" war, wo Udo ein Orgelsolo in der Nummer spielte und ich diese musikalisch eigentlich schon toll fand (und finde) - als Klavierspieler animiert sie eben nun mal zu ausgiebigen Improvisationen. Und auf der "Udo 75" sind so klassische Udo-Lieblingslieder von mir wie "Mädchen, was soll ich dir singen" oder "Ade, ihr Sommertage".
Zu Details des Buches später mal mehr. Es reizt eigentlich jede Seite zum konstruktiven Nachdenken und Reagieren. Was SEHR für das Buch spricht.
Nochmals Gratulation. Und vielleicht ja mal ein zweiter Band mit all den Liedern, die im ersten Band "fehlen"?
"Wer ist der"? "Zigarettenrauch in meinen Augen"? Mehr Lieder aus dem neuen Jahrtausend?
Ach ja: Für "Freunde" des "Eigenplagiats": man höre sich mal hintereinander "Am Tag davor" (1984) und "Wo finde ich dich" (200

an - ich liebe beide Lieder, auch wenn alle Strophen einander sehr gut kennen...
(Udo federt das, auch von Jens zitiert, verbal elegant ab: Er bekennt sich zu seinen Eigenzitaten.)