Es habe Galeristen gegeben, die sich gesagt hätten: "Finger weg von Bockelmann – wenn wir den ausstellen, kommen die Leute nur, weil sie den Bruder von Udo Jürgens sehen wollen." Manfred Bockelmann hat es ausgehalten. "Das Lied ist Ausdruck seiner Zuneigung", sagt er, "dafür bin ich ihm immer dankbar. Ansonsten wäre es mir fast lieber gewesen, er hätte es nie gespielt."
Sie sind drei Brüder, die auf Schloss Ottmanach, dem elterlichen Anwesen in der Gemeinde Magdalensberg am Rand von Klagenfurt, aufwachsen. Eine behütete Kindheit abseits der Stadt. "Kärnten-Land" sagen die Einheimischen. Wer hier groß wird, der muss irgendwann den Hof übernehmen. Aber diese Brüder schlagen alle auf ihre Weise aus der Art. John, der Erstgeborene, drei Jahre älter als Udo, ist ein sportlicher Typ, ein Hüne von Gestalt. Er studiert, macht aus der Sicht besorgter Eltern alles richtig, beginnt eine Karriere als Manager bei BP.
Auch Udo Jürgen Bockelmann will beruflich nicht in die Landwirtschaft, ebenso wenig Manfred. Der Jüngste plant sein Leben nicht bis ins Detail. Er weiß nur eins: bloß nichts mit einem Klavier. Das ist Udos Sache, der schon als Kind mit seiner Musik allen anderen in der Familie weit voraus ist.
Manfred ist neun Jahre jünger als sein Bruder. Neun Jahre sind eine ganze Menge, "anfänglich ist der Altersunterschied zu groß, aber ab zwanzig verspielt sich das". In Graz studiert er vier Jahre lang Freskomalerei, Grafik und Fotografie. Um dem Wehrdienst in Österreich zu entgehen, zieht Bockelmann nach München, für die Fahrt bindet er die Staffelei auf das Dach seines VW Käfers. Mit einem Fotoapparat seiner Mutter hält er die Auftritte seines Bruders fest, Udos erste Plattencover entstehen. Er fotografiert Schauspieler, Statisten der Bavaria-Studios, die Bilder für ihre Setkarte brauchen.
Bockelmann tut sich mit einem Germanistik-Studenten zusammen, der Texte zu seinen Fotos schreiben soll. Reportagen entstehen, die beiden besuchen ein Männergefängnis in Berlin, das von einer Frau geleitet wird. Bockelmann macht Fotos von Zellenfenstern, aus denen die Hände der Gefangenen herausragen. Das Geschäft geht gut, in den Illustrierten damals finden die Geschichten ihren Markt.
Manfred und Udo werden beste Freunde. Der eine weiß alles über den andern. Zu John Bockelmann, dem Ältesten, haben sie über viele Jahre kaum noch Kontakt. Der macht seine Karriere, das Künstlerleben ist ihm fremd. Er bietet Manfred einen Job als Grafiker bei BP an, sicher ist doch sicher. Als der lachend ablehnt, kommt es zum Bruch: "BP ist dir nicht genug – was glaubst du, wer du bist?"
Udo Jürgens startet seine Weltkarriere, lässt sich in Kitzbühel nieder. Jahre eines süßen Lebens. Wenn Udo wieder eine Freundin nach Hause schickt, dann bringt Manfred sie zum Bahnhof. Er spricht mit Udo, kritisiert seinen Lebenswandel, das Chaos in seinen Beziehungen, der hört ihm zu, allmählich wird Manfred zum älteren Bruder. Udo beneidet ihn. Ein solches Leben hätte ihm auch gefallen. Das behauptet er jedenfalls.
Privat zu sein, wo man es will. Als Künstler zu arbeiten, nicht vor aller Welt auf eine Bühne zu treten, sondern an einer Staffelei zu stehen, nur umgeben von der Familie. Hat sich Udo das wirklich gewünscht? Ja. "Er hat mich darum mehr beneidet als ich ihn um seine großen Erfolge."
Was habe ich aus meinem Leben gemacht? Diese Frage begleitet sie. Sind die Eltern zufrieden? Machen wir sie stolz? Diese Anerkennung ist den Brüdern wichtig gewesen. Bei Gelegenheit hat Udo Jürgens davon erzählt, dass er seine Eltern für ein paar Tage nach Berlin eingeladen habe. Für Plattenaufnahmen spielen die Berliner Philharmoniker mit Udo Jürgens am Flügel. Die Eltern haben nichts geahnt, sie sind die einzigen Zuschauer in der Philharmonie. Der Sohn blickt von den Noten auf, sieht aus den Augenwinkeln, wie sein Vater zu weinen beginnt. "Unfassbar!"
Manfred Bockelmann erfährt "einen künstlerischen Ritterschlag", als er 1971 in Zürich dem Künstler Friedensreich Hundertwasser begegnet. Zugute kommt ihm dabei, dass er die Egozentrik anderer aushält, da ist Bockelmann auf bemerkenswerte Weise belastbar. Hundertwasser verlangt ihm einiges ab. Sie treffen sich morgens um sechs zum Frühstück, das sie schweigend einnehmen. Danach ein wortloser Spaziergang durch die Altstadt von Zürich, bei dem Hundertwasser verschiedene Schuhe und Strümpfe trägt sowie eine gestreifte Hose mit roten Flicken. "Der Typ ist ein Wahnsinnsmotiv", Bockelmann bittet um die Erlaubnis, ihn fotografieren zu dürfen. Hundertwasser gestattet es, ermahnt Bockelmann aber, "dass unser gemeinsames Ziel weiter sein sollte, die Welt zu retten".
Also machen sie sich auf den Weg. Bei einer Landpartie durch Bayern stoppt Hundertwasser seinen froschgrünen Citroën in einer Allee vor einem Baum, dessen Rinde herunterhängt. Offenbar die Folge eines Autounfalls. Hundertwasser geht an den Kofferraum, schleppt einen Eimer mit Fett und einem Pinsel herbei. Sein Verbandszeug für einen verletzten Stamm. "Achtung, passen Sie auf, er darf nicht ausbluten!", ruft er dabei. Bockelmann kommt mit dem Fotografieren gar nicht hinterher. "Nur nichts verpassen bei diesem seltsamen Menschen, dieser kafkaesken Figur, die den Eindruck macht, als sei sie soeben aus einem ihrer eigenen Bilder in die Welt gestiegen."
Sie unternehmen Reisen auf einem Kutter. Ihr Fahrziel: Venedig. Bockelmann studiert den Mann an der Reling, der damals in den Siebzigern seine große Zeit hat. Er bewundert ihn wegen seiner Rigorosität in der Kunst, des unaufhörlichen Kampfes gegen alle geraden Linien, gegen das Grau in dieser Welt. "Er ist der erste Grüne gewesen. Die Begegnung mit Hundertwasser hat mich erst richtig vorbereitet auf meinen eigenen Beruf als Künstler", sagt Bockelmann. Zusammen bringen sie einen Bildband heraus, Hundertwasser Regentag, Stationen ihrer gemeinsamen Reisen. Eines der ersten Exemplare schickt Bockelmann seinen Eltern nach Hause. Sie sollen einverstanden sein mit dem, was er macht. "Ich hoffe, daß Ihr meine Arbeit mögt!", schreibt er in seiner Widmung. "In Liebe, Euer Manfred".
In den siebziger Jahren hat Bockelmann seine erste Einzelausstellung auf der Baseler Kunstmesse. Auf einer dreimonatigen Reise durch Ostafrika, die Eltern nimmt er mit, entdeckt er für sich "die Malerei der Stille". "Man sieht keine Straßen, keine Zäune – in dieser unendlichen Weite bewegen sich die Menschen in der Ferne wie Ameisen." Diese Perspektiven werden typisch für die Bilder von Bockelmann. Sein Buch mit Hundertwasser endet mit dem Satz des Meisters: "Das einzige, was der Mensch braucht, ist der Horizont. Alles andere kann er sich dazuerfinden."
In seinen Landschaftsbildern malt er fortan zunächst die Linie des Horizontes, dann in vielen geologischen Schichten und geometrischen Formen Wiesen, Äcker und Felder. Die Kamera wird zum Skizzenblock seiner Malerei. Fotografie, sagt Bockelmann, sei "die Bewältigung des Augenblicks", die Malerei hingegen "die Bewältigung einer Summe von Augenblicken". 1987 dokumentiert er in einer großen Ausstellung besondere Alltagssymbole – Straßenmarkierungen auf dem Asphalt, die unter der Sommersonne New Yorks zerflossen sind. 1999 reist er nach Sanibel Island in Forida, auf eine der wohl muschelreichsten Inseln der Welt. Sotheby’s in Wien präsentiert das daraus entstandene Fotoprojekt. Dann kehrt Bockelmann wieder an seine Staffelei zurück.