In den 70er Jahren wurde die Schüler auch über den "Deutschen Schlager" im Rahmen von "Popmusik im Unterricht" mit Hilfe einer Schallplatte (und einem Begleitheft mit Erläuterungen für den Dozenten) belehrt. Kurioserweise schienen sich nahezu alle behandelten Themen anhand von Udo Jürgens, seinem Verhalten auf der Bühne und nicht zuletzt seinen Stücken darstellen zu lassen.
Auf der A-Seite der LP wird Der Schlager und sein Text behandelt; dabei gibt es eine Gliederung in verschiedene Unterkategorien mit entsprechenden Musikbeispielen (von Mireille Mathieu, Peter Alexander, Heintje u.a.). Hier sind jene, die Udo Jürgens' Werke nennen:
Der einsame Mensch
* ("Du weißt, daß ich einsam bin" , Interpret: Camillo Felgen, Komponist: Udo Jürgens).
* "Deine Einsamkeit"
Trost
* "Immer wieder geht die Sonne auf"
Illusionswelt
* ("Illusionen", Interpretin: Alexandra, Komponist: Udo Jürgens)
Weltanschauung - Ideologie
* "Ich glaube"
* "Was wirklich zählt auf dieser Welt"
* "In dieser Welt"
Liebe
* "Es wird Nacht, Señorita"
* "Wahre Liebe ist ganz leise"
Auf der B-Seite folgen nun Feststellungen zu Der Schlager und seine Käufer. Bei Stil-Fans als Käufer werden Udo Jürgens' Stücke "Cotton Fields", "Anuschka" und "Lonesome Road" aufgezählt.
Weiter geht es mit dem Punkt Aufnahmetechnik. Hier dient Jürgens' "Ich glaube" wiederum als Beispiel für die Musikalische Großaufnahme.
Das Arrangement mit Solo-Instrumenten wird u.a. anhand von "Was ich dir sagen will" und "Anuschka" erläutert. Und als Demonstrationsobjekt für Gleicher Titel in verschiedenen Arrangements wurden eine Live- und eine Studio-Version von "Immer wieder geht die Sonne auf" einander gegenübergestellt.
Der letzte Unterrichtspunkt, Star und Publikum: Der Schlager im Konzertsaal, wird komplett mit Hilfe von Udo Jürgens und seinen Liedern erklärt und verdeutlicht:
* Erfolgssuggestion in der Ansage:
Vorspann zu "Lonesome Road"
* Publikumsakklamtion des Refraineinsatzes - Kontrastwirkung
"Ich glaube" - "Es wird Nacht, Señorita"
* Der Star als Conférencier
Vorspann zu "Mathilda"
* Aktivierung des Publikums: "Offenes Singen"
"Mathilda"
* Personenkult: Das Selbstzitat als Abschiedsposter
"Merci (Chérie)" (instrumental)
Wie zu erwarten, bespricht das beiliegende Heftchen mit Erläuterungen für den Unterrichtenden alles sehr nüchtern und wissenschaftlich; einiges mutet aus heutiger Sicht auch sehr amüsant an.
Manchen Stücken wird etwas mehr Aufmerksamkeit gewidmet und sie werden auch ausführlich besprochen. Beispielsweise "Deine Einsamkeit". Dieser Zustand, so wird erörtert, wird hier als etwas Existentielles verstanden, nicht als Verlust einer Liebe. Die musikalischen Elemente dazu seien traditioneller Kirchenmusik entlehnt.
Auch "Immer wieder geht die Sonne auf" und "Illusionen" werden in Bezug auf Text und Instrumentierung / Musik fachlich seziert. Die ersten Harmonien der Strophe von "Ich glaube" werden sogar mit J. S. Bachs Präludium in C-Dur aus dem Wohltemperierten Klavier I verglichen...
Bei "In dieser Welt" wird die Nähe des Chansons erkannt, während im Stück "Es wird Nacht, Señorita" der "Lüsterne im Schafspelz" ausgemacht und von einer "Feier der Potenz" [sic!] gesprochen wird.
"Wahre Liebe ist ganz leise", "Cotton Fields", "Anuschka", "Lonesome Road", "Ich glaube" und "Was ich dir sagen will" werden jeweils nur relativ kurz gestreift in Bezug auf ihre Kategorisierung (siehe oben).
Interessanter wird es dann schon wieder bei der Gegenüberüberstellung von "Immer wieder geht die Sonne auf" in der Studio- und der Live-Aufnahme ( Deutschland-Tournee 1968 ). Während die sängerische Leistung als "nahezu gleichwertig" beurteilt wird und sowohl das Grundarrangement als auch "Harmonik, Rhythmus und obligate Solo- und Begleitstimmen" sich nicht unterscheiden würden, werde "das Arrangement entsprechend den zur Verfügung stehenden Mitteln verschieden ausgeführt" (Studio-Orchester vs. kleine Combo). Die festzustellenden Unterschiede werden anschließend ausführlich im Fachjargon dargelegt.
Das letzte große Thema des "Deutschen Schlagers im Unterricht" ist schließlich "Der Star und sein Publikum". Hierbei werden die kleinen psychologischen Kniffe offenbar, die die Zuschauer und -hörer in bestimmte Stimmungen versetzen können oder die dazu führen, dass sie sich bspw. mit dem Vortragenden oder den in seinen Texten besungenen Situationen identifizieren und sich darin wiedererkennen können.
So oft Udo Jürgens auf dieser Platte bzw. in diesem Lehrbüchlein auch als Beispiel herhalten muss: Die Kritik fällt sehr, sehr sparsam aus. Im Gegenteil - oft wird hier herausgestellt, dass es sich bei seinen Stücken meist nicht um den typischen, tumben Schlager handelt, sondern vielmehr, dass sowohl Text als auch Musik mehr wollen und mehr bieten, sie ausgefeilter und durchdachter sind, als es vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag.
© B.R.