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Interview mit Jenny Jürgens zur Compilation "udo 90"

Heute erscheint die Single mit dem bislang unveröffentlichten Titel "Als ich fortging". Am 27.09.2024 erscheint die Compilation "udo 90".

Passend hierzu wurde ein Interview mit Jenny Jürgens von Martina Mack geführt.

 

Jenny, im Dezember werden es 10 Jahre, seit Ihr Vater gestorben ist. Wie haben Sie diese Zeit ohne ihn im Rückblick erlebt?

Das Leben teilt sich immer in unterschiedliche Stationen ein, in neue Zeitrechnungen von VORHER und NACHHER. Papas Tod war eine neue Zeitrechnung, die Zeit von vor Papas Tod und nach Papas Tod. Alles ist anders danach. Man spricht auch anders über seine Erlebnisse, Wahrnehmungen, beginnt Geschichten mit: „Da war der Papa schon tot.“ So betrachtet man jetzt die vergangenen 10 Jahre. Der Tod eines Elternteils ist ein riesengroßer Einschnitt. Man merkt aber auch, wie unglaublich schnell diese Zeit vergangen ist. Es ist so viel passiert in den letzten 10 Jahren. Ich kann es gar nicht glauben, dass der Papa schon so lange tot ist – und auch die Tatsache, dass ich 10 Jahre älter geworden bin.

 

In welchen Momenten vermissen Sie ihn am meisten?

Mein Vater und ich hatten immer eine sehr verbale Beziehung. Wir haben viele Abende verbracht und viel miteinander gesprochen. Papa war ein Nachtmensch. Wir gingen abends zum Essen und es wurde immer sehr spät. Man hat lange bei Rotwein und auch mal bei Vodka Tonic zusammengesessen und über Gott und die Welt philosophiert. Über die Familie, die Liebe, das Leben – das vermisse ich sehr. Unsere Gespräche fehlen mir. Ihn einfach spontan anrufen zu können und sagen: „Mensch Papa…“, das vermisse ich.  Zum Glück habe ich einen Vater, dessen Stimme ich hören kann. Ich kann ihn auf YouTube sehen, mir seine Konzerte noch einmal anschauen. Ich muss aber sagen, dass ich das nicht allzu oft mache, weil es noch immer sehr schmerzt. Manchmal ist es auch schön, aber es ist immer sehr emotional für mich.

 

Für das neue Album „udo 90“ haben Sie mit Ihrem Bruder John 90 Titel seiner fast 550 weltweit veröffentlichten Singles ausgewählt. Gab es bei der Beschäftigung mit dem Werk Ihres Vaters auch Überraschungen für Sie?

Es gab eine große Überraschung. Ein echter Schatz ist der Song „Als ich fortging“, der nun erst entdeckt wurde. Der legendäre Komponist und Schlagzeuger Curt Cress hat ihn produziert. Das ganze Werk unseres Vaters ist eine spannende Reise für uns, die wir mit Stolz, mit sehr viel Vorsicht und Verantwortungsbewusstsein antreten. Bis auf dieses Lied kannte ich alle 90 Singles, die auf dem Album sind. Aber natürlich gibt es in seinem Lebenswerk auch ein paar Lieder, die ich noch nicht kannte, weil wir entweder ganz klein oder noch gar nicht geboren waren. Dieses Werk jetzt zu entdecken, wo er nicht mehr da ist, ist eine sehr emotionale Geschichte für mich. Auch im Zuge dieser Verantwortung, die wir jetzt tragen, indem wir seinen musikalischen Nachlass verwalten.

 

Das heißt, Sie beschäftigen sich heute viel mehr als früher mit seinen Liedern?

Ja, wir beschäftigen uns jetzt ganz anders mit seiner Tätigkeit. Wir haben uns auch früher damit beschäftigt, aber nie so intensiv. Wir wussten immer, wenn eine neue Platte von Papa kommt, oder wenn er damit auf Tournee ist, aber jetzt vertiefen wir uns ganz anders. Meine Schwägerin Hayah, mein Bruder und ich sind in den letzten Jahren zu echten Udo Jürgens Profis geworden (lacht). Es hat sich auch noch einmal eine ganz neue Art der Bewunderung aufgetan für sein Schaffen. Früher gab es auch mal Situationen, wo man genervt war. Heute verstehen wir vieles besser, natürlich auch, weil man selbst erwachsen ist und schon langsam in die ältere Lebenszeit eintaucht. Erst jetzt wird uns so richtig bewusst, was der Mann alles geleistet hat in seinem Leben –  und welche Entbehrungen das mit sich gebracht hat.

 

Wie haben Sie diese Entbehrungen empfunden?

Entbehrungen, im Sinne: Wie präsent konnte er als Vater sein? Natürlich haben wir ihn manchmal vermisst, aber wir sind mit diesem Umstand aufgewachsen. Wir wussten, der Papa ist unterwegs und singt. Meine Mutter hat uns immer eine fantastische Basis und Struktur gegeben. Papa war eine dauerarbeitende musikalische Maschine, ein Gesamtkunstwerk. So etwas hat es seitdem nicht mehr in Deutschland gegeben. Diese Kombination aus Chansonnier, aus Tiefgründigkeit, seinem unglaublichen musikalischen Können, verbunden mit seiner Leichtigkeit, diesem Augenzwinkern. Die Art, wie er gesungen hat, die Art wie er auch Musik komponieren konnte. Was Udo geleistet hat, ist in meinen Augen bis heute unerreicht! Und wenn er dann eine Tournee abgeschlossen und einen guten und entspannten Tag hatte, dann war die Art und Weise des Zusammenseins mit uns unglaublich schön. Er hat sich dann viel Zeit genommen, war sehr offen und wir haben uns wunderbar unterhalten mit ihm.

 

Wie gehen Sie bei der Auswahl der Titel vor?

Wir können den Papa nicht mehr fragen. Unsere oberste Prämisse ist daher unser eigenes gutes Gefühl. Ich denke, das kann kaum einer besser fühlen als die eigene Familie, die ihm ganz nahe war. Wir fragen uns immer: „Was hätte der Papa wohl dazu gesagt?“ Wir ändern Farben auf Cover-Seiten, wir ändern Fotos. Wir kennen ja seinen Geschmack. Er war einerseits sehr uneitel, in gewissen Dingen dann aber doch darauf bedacht, dass alles schön rüberkam. Wir versuchen uns ganz oft diese Fragen zu stellen und dann nach bestem Wissen und Gewissen unsere Entscheidung zu treffen.

 

Am 30. September würden Sie mit Ihrem Vater und der Familie Udos 90. Geburtstag feiern. Mit welchen Gefühlen sehen Sie diesem Tag entgegen? Ist eine Gedenkfeier geplant?

Wir veranstalten keine Gedenkfeier an diesem Tag. Wir sind unterwegs auf Presse-Tour, lassen diesen Tag aber ganz bewusst frei. Wir werden uns alle über WhatsApp verbinden und schreiben, weil wir ja in alle Winde zerstreut leben. Meine Schwester Sonja in New York, mein Bruder John in München. Es gibt immer noch Tage, die ganz surreal sind. Ich habe aber festgestellt: Traurigkeit, Abschieds-Gedanken und das Gefühl des Vermissens, die richten sich nicht nach einem gewissen Datum. Die kommen ungefragt irgendwann um die Ecke.

 

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Wenn ich zum Beispiel plötzlich etwas rieche. Mein Vater hatte zwei Gerüche an sich. Zum einen der Nivea-Geruch seiner Bodylotion und er trug immer den Duft „Eau Sauvage“ von Christian Dior. Das war sein Lieblingsparfum. Wenn jemand danach riecht, denke ich automatisch an Papa. Oder wenn mein Bruder John mit den Fingern am Tisch trommelt. Das hat mein Vater unheimlich oft getan. Dann schaute er gedankenverloren in die Ferne und man hatte das Gefühl, er ist gar nicht mehr da. Wenn er so vor sich hin trommelte, dann spielte er eigentlich Klavier. Er spielte mit den Fingern und war in Gedanken komplett weg. John macht das auch manchmal, dann denke ich sofort an den Papa. Es gibt immer Augenblicke, die sich aber überhaupt nicht an dem Datum, seinem Geburtstag am 30. September festmachen. Dass wir an diesem Tag alle zusammensitzen und weinen, das ist überhaupt nicht realistisch.

 

Ist ein gemeinsames Essen zum Gedenken mit der Familie geplant?

Das haben wir vor kurzem in Wien gemacht. Mit einem großen Teil der Familie. Das war lange geplant und nicht so einfach, alle zusammen zu bekommen. Wir haben dann zwei schöne Tage in Wien miteinander verbracht und natürlich über den Papa geredet. Es gab viele schöne Momente und Anekdoten mit meiner Schwester Sonja, mit John und mir. Das sind die Momente, wo Udo bei uns ist – losgelöst von Jubiläen. Deswegen braucht es keine spezielle Gedenkfeier. Davon abgesehen, ist der ganze Herbst eine einzige Gedenkfeier, die sich fast über ein halbes Jahr erstreckt. John und ich werden sehr viel unterwegs sein in Talk-Shows und Sendungen sitzen, wo wir über unseren Vater erzählen und an ihn erinnern werden. Wir sind nun mal Udos Stellvertreter auf Erden und wir machen das auch mit sehr viel Freude.

 

Was hätte sich Udo gewünscht – wie hätte er seinen 90. Geburtstag feiern wollen?

Je älter er wurde, desto weniger war er ein Freund von Geburtstagen. Das Alter hat ihm zugesetzt, es hat ihn gestresst. Diese Schwere, die manchmal über ihn gekommen ist in dem Wissen, jetzt wird die Zeit nach vorne so kurz. Das war schon eine Herausforderung für ihn – wie sicherlich für jeden Menschen. Wenn überhaupt, hätte er seinen Geburtstag im kleinsten Kreis gefeiert, mit Menschen, die ihm wichtig sind. Dazu gehören neben uns Kindern sein Freund und Orchester-Leiter Pepe Lienhard, Billy Todzo, sein Chauffeur, mit dem er innig verbunden war. Ein paar seiner engen Freunde. Richtig gute Freunde gab es auch nur wenige. Wir hätten darum kein großes Aufsehen gemacht. Er mochte auch eher einfache Lokale mit guter Küche. Er war kein Mann, der geprotzt hat und fand es auch nicht gut, wenn anderes das getan haben.

 

Was liebte Udo am meisten?

Am meisten hat er es geliebt, irgendwo in einem kleinen Lokal zu sitzen, die einfache italienische Küche fand er großartig. Wir waren mal auf einem Schiff unterwegs durch die griechische Ägäis und er sagte dann: „Lass uns bitte ein Lokal finden, wo die Stühle und der Tisch wackeln. Wo die Kartoffeln mit der Schale auf dem Tisch stehen und jeder sich bedienen kann. Das fand er großartig. Zum Anlass seines 90. Geburtstages wären wir sicher in ein besonderes Lokal gegangen wie die „Kronenhalle“ in Zürich. Dieses Restaurant mochte er sehr gerne. Das Lokal begleitet uns, seit wir klein sind. Zu besonderen Anlässen haben wir immer dort gegessen. Es ist ein sehr altes, klassisches Schweizer Restaurant mit einer unglaublichen Geschichte. Da hängen sogar noch Originale von Miró, Chagall und Picasso an den Wänden. Es ist eine ganz spezielle Atmosphäre und die Küche ist natürlich hervorragend. Es gibt dort zum Beispiel das traditionelle Zürcher Kalbsgeschnetzelte mit Rösti, das hat Papa sehr gerne gegessen.

 

Auf dem neuen Album sind Klassiker, Udos Erfolgs-Hits, aber auch einige weniger bekannte Songs. Welches von diesen Liedern hat Sie besonders berührt?

Man hat natürlich zu unglaublich vielen Songs eine Verbindung. Es gibt zwei Lieder, die eine direkte Linie in die Seele haben ohne große Umwege, weil sie auch richtig schlicht sind.  „Nur ein Lächeln“ und „Ein Boote aus besseren Welten“. In dem Lied erzählt er, wie gerne er jemand wäre, der gute Nachrichten weitertragen würde. Auch die Textzeilen von „Nur ein Lächeln“ finde ich einfach nur schön und so anrührend. Wir alle kennen diese Augenblicke, wo man jemanden im Vorbeigehen kurz anlächelt oder angelächelt wird. Momente, wo sich fremde Menschen kurz connecten, die sich dann nie mehr im Leben wiedersehen. Das hat etwas Magisches.  Ich habe mich für diese Lieder entschieden, weil sie so ausdrucksstark und positiv sind. Udo konnte mit seinen Liedern eine Berührung mit den Zuhörern schaffen. Das war eine große Begabung von ihm.

 

Ein besonderer Rohdiamant, der erst vor kurzem entdeckt und jetzt veredelt wurde, ist Single-Track Nr. 91, das Lied „Als ich fortging.“ Es ist ein Liebeslied wie ein Abschiedsgruß. Wie empfinden Sie dieses Lied?

Ich finde den Song sehr speziell, aber er ist ganz toll. Er ist ein Hauch intellektuell, wirklich außergewöhnlich. Der Song entstand 1985 für das Album „Treibjagd“, der Text ist von Michael Kunze. Er passte damals inhaltlich nicht mehr ins Konzept des Albums, wurde beiseitegelegt und vergessen. Es ist wirklich ein Geschenk, dass man darauf gestoßen ist. Wir waren innerlich immer auf der Suche und haben gehofft, noch etwas zu finden, was Udo geschrieben hat. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass mein Vater damit einverstanden gewesen wäre, dass dieser Song publiziert wird. Das Lied ist großartig und erzählt eine schöne Geschichte voller großer Gefühle. Und andererseits assoziiert man den Titel „Als ich fortging“ eben auch mit seinem Abschied, seinem Tod.

 

Ihr Vater hat mit Ihnen das Lied „Liebe ohne Leiden“ gesungen, das wieder auf dem Album ist. Fällt es Ihnen jetzt, 10 Jahre nach seinem Tod, leichter dieses Video anschauen?

Es hängt tatsächlich von meiner Tagesform ab. Grundsätzlich kann ich mir alles anschauen. Es fällt mir aber schwerer, mir die Videos anzuschauen, wo mein Vater schon ein alter Mann war. Bei YouTube gibt es Videos von seinem letzten Auftritt 2014 in der Helene Fischer-Show – die Aufzeichnung war 9 Tage vor seinem Tod. Niemand ahnte da, dass er uns bald verlassen würde. Helene Fischer stand ganz nah vor ihm am Piano, nahm seine Hand und schaute ihm die ganze Zeit tief in die Augen. Sie sang „Merci Chérie“, und zwar so unglaublich gefühlvoll und schön, das war unbeschreiblich bewegend.
Der Papa hielt sich ganz leicht am Klavier fest. Er war sichtlich ergriffen von Helenes Darbietung und mir fiel zum ersten Mal auf, dass er sich festgehalten hat. Er war dann eben 80, das merkte man. Er hat an diesem Abend zwei Lieder, unter anderem den Song „Mein Ziel“ gesungen. Es ist eines meiner Lieblingslieder. Bei diesem Lied bekomme ich immer wieder feuchte Augen. Wenn man weiß, dass er 9 Tage danach gestorben ist, kann man sich das kaum ansehen. Er singt zum Beispiel: „Ich werde auch keine Bäume mehr ausreißen“, der ganze Text, die Zeilen, das ist schon sehr  berührend.

 

Es klingt ein bisschen, als hätte er eine Art Vorahnung gehabt…

Das sagen viele. Aber der Papa war 80, er hat natürlich gewusst, dass die Zeit weniger wird. Wir haben allerdings alle damit gerechnet, dass er viel älter wird. Er war ja nicht krank. Wir sind felsenfest davon ausgegangen, dass er noch ein paar Jahre leben wird. Für mich sind diese Videos deshalb sehr viel schwerer anzuschauen, weil er mit 80 einfach so nah dran war an diesem Moment, wo er diese Welt verlassen hat. Udo hat trotzdem für sich und sein Leben den besten Tod gehabt, so schwer es auch für uns war. Genau so hat er es sich gewünscht.

 

Erinnern Sie sich noch, was Sie gemacht haben, als Sie die Todes-Nachricht erhielten?

Ich war damals als Hauptdarstellerin mitten in den Dreharbeiten der Telenovela „Rote Rosen.“ Wir waren abgedreht vor der Winterpause. Am 20. Dezember bin ich ganz euphorisch nach Mallorca geflogen zu meinem Mann David. Am 21.Dezember, Papas Todestag, sind wir mit Freunden essen gewesen am Hafen. Zuvor war ich mit meinem Mann in einem der chinesischen Basare. Es gab dort alberne Mützen als Giraffe oder Tiger. Die haben wir uns aufgesetzt und lustige Fotos davon gemacht. Ich habe dann später mal auf die Uhrzeit geschaut und gesehen, das war genau die Uhrzeit, wo der Papa am Bodensee zusammengebrochen ist.

 

Konnten Sie so kurz nach dem Tod Ihres Vaters überhaupt weiterdrehen?

Ich musste zurück nach Lüneburg und weiterarbeiten. Dieses Studio war auch ein Schutz. Andererseits musste ich komplett funktionieren und gut aussehen. Meine Traurigkeit hat sich da auch ihren Weg gesucht. Ich bekam plötzlich Ausschläge und merkte, wie mein Körper rebellierte. Ich erinnere mich noch, wie ich mich am Freitagabend nach dem Dreh immer hingesetzt und ein, zwei Gläser Weißwein getrunken habe, damit ich mich weinerlicher bekomme. Dann habe ich mir auf YouTube ohne Ende Videos mit Papa angeguckt und jeden Freitagabend Rotz und Wasser geheult. Aber ich habe gespürt, wie wichtig das war. Ich musste mir irgendwo eine Schleuse schaffen. Die ganze Woche musste ich funktionieren vor der Kamera. Deshalb war der Freitagabend immer mein Heul-Abend in dieser schweren Zeit.

 

Konnten Sie Ihre Trauer inzwischen gut verarbeiten?

Die wirkliche Verarbeitung dauert seine Zeit. Natürlich sitzen wir nach zehn Jahren nicht mehr da und brechen alle naselang in Tränen aus – aber es gibt diese Momente noch für uns alle. Und es wird sie für immer geben. Ich weiß das von meinem Papa. Er war damals schon 80 und wir saßen in seinem Wohnzimmer in Zürich. Er zeigte plötzlich auf ein Foto von seinen Eltern im Silberrahmen. Er sprach über unseren Opi und ich merkte, wie sich sein Gesicht plötzlich veränderte. Ich dachte, jetzt weint er gleich und Udo war niemand, der sonst vor uns Kindern weinte. Aber in diesem Moment kamen ihm die Tränen, als er von seinem Vater gesprochen hat. Mir kamen dann auch gleich die Tränen. Wenn man seinen eigenen Vater so sieht, das ist einfach unglaublich berührend.
Er wurde im Alter immer sensibler und dünnhäutiger. Mir hat das gezeigt: Das wird nie aufhören – bis ich selbst eine alte Frau bin, die dann irgendwann einmal mit viel Mut ihrem eigenen Tod ins Auge blicken muss. Dann werde ich immer noch Videos von meinem Vater sehen können und dann wird mir das sicher auch passieren, dass mir die Tränen kommen. Aber es passiert eben nicht auf Kommando oder in einer Fernseh-Show. Diese Emotionalität ist etwas, das ganz plötzlich auftritt, durch irgendetwas, was plötzlich getriggert wird. Es ist mir einmal passiert in einer TV-Show, damals war es aber noch ganz frisch. Ich schäme mich dann auch nicht, wenn ich weinen muss.

 

Welcher Erinnerungen haben Sie an den Auftritt mit Ihrem Papa zu „Liebe ohne Leiden?“

Es kommen viele intensive Erinnerungen hoch – auch an mich selbst, wie aufgeregt ich war. Und wie er dann immer zu mir war, wenn ich nervös war. Er nahm meine eiskalte und klatschnasse Hand und sagte: „Komm Schweinchen, heute machen wir keine Gefangenen“ (lacht). Papa hatte einen unglaublichen Humor. Das „Schweinchen“ stammt aus einer Märchen-Geschichte, als ich noch ganz klein war. Das war richtig süß. Und der Spruch mit den Gefangenen bedeutet, dass wir keinen Kompromiss machen und unser Ding durchziehen. Er sagte auch immer: „Schau nicht runter zum Publikum, schau nicht runter. Sonst siehst du, wie viele Leute da sind. Schau mich an.“ Auf den Videos kann man das auch sehen, wie sehr ich mich konzentriere.

 

Gibt es eine Eigenschaft, etwas in dem Sie Ihrem Vater sehr ähnlich sind?

Meine große Begeisterungsfähigkeit – auch für unwichtige, kleine Dinge. Der Papa hat auch gerne mal übertrieben. Oft sagte er: „Das interessiert doch keinen Menschen, wenn ich eine Geschichte so erzähle, wie sie wirklich war. Da muss man schon noch ein Schippchen drauflegen, damit das für die Leute richtig toll ist, sich das anzuhören. Auch in den kleinen Dingen hat er gerne übertrieben. Wenn er zum Beispiel irgendwo ein leckeres Wurstbrot bekommen hat. Er meinte dann, das sei das beste Wurstbrot, das er jemals gegessen hätte. Und ich bin da genauso. Es gibt bestimmt 50 Orte, von denen ich überzeugt bin, dort das beste Käsebrot gegessen zu haben. Nur weil ich gerade Hunger habe und mich freue, dass es ein Käsebrot gibt. (lacht) Diese Lust am Leben – das habe ich ganz stark von ihm. Und ein hohes Maß an Infantilität. Mein Vater hatte auch die Neigung, plötzlich sehr albern zu werden, sei es mit Grimassen – oder indem wir Loriot nachgespielt haben. Das liebe ich, weil es das Leben lebenswert und erträglich macht in all dem Irrsinn. Papa hatte diese große Leichtigkeit.

 

Hatte er manchmal auch eine schwere Seite?

Er hatte beides. Er hatte auch eine sehr ernste und schwere Seite, die manchmal über ihn kam. Damit konnte er umgehen. Er war auch bescheiden, auf eine ganz angenehme Art und Weise, und Udo war sehr diszipliniert. Er war allen Menschen gegenüber respektvoll und freundlich. Er hat sich nie über andere gestellt. Diese Bescheidenheit fand ich eine sehr angenehme Seite meines Vaters. Er hätte auch nonstop mit Bodyguards unterwegs sein können, das hat er alles nicht gemacht. Er hat sich auch immer bei den Leuten vorgestellt. Die fielen fast schon in Ohnmacht. Ich sagte: „Papa, guck mal, die haben doch alle schon Schnappatmung“ (lacht). Er ist normal geblieben, weil er ja selbst aus einer zwar gut bürgerlichen, aber einfachen Familie kam. Dazu noch aus Kriegszeiten, woran er starke und schmerzliche Erinnerungen hatte. Wichtigtuer, Leute, die schmuckbehangen ihren Reichtum zeigten, damit konnte er nichts anfangen.

 

Sind Sie als Kinder eines so großen Stars auch bescheiden geblieben?

John und ich sind ihm da sehr ähnlich. Auch wir haben uns eine gewisse Bescheidenheit bewahrt. Wir denken nicht, wir seien etwas Besseres oder residieren nur in Fünf Sterne-Hotels und schwelgen von morgens bis abends im Luxus. So sind wir alle nie gewesen. Gewisse Dinge genießen wir auch mal, aber eben nicht als Dauerzustand.

 

Fällt Ihnen zum Thema Bescheidenheit vielleicht eine Anekdote ein?

Nach der Verleihung des Deutschen Fernsehpreis in Köln ging er nicht etwa in ein Edel-Restaurant mit uns, um zu feiern. Er fragte den Taxifahrer, wo es die besten Würstchen gibt. Einen guten Würstchenstand, nicht in Wien, sondern in Köln zu finden, das war gar nicht so einfach. Der Taxifahrer meinte, er würde einen kennen, allerdings im Rotlicht-Viertel. Da fuhren wir dann hin. Wir standen also nachts um zwei Uhr, alle im Abendkleid und Smoking, an der Würstchenbude – der Verkäufer traute seinen Augen nicht. Auf der anderen Seite gegenüber blinkten überall die roten Lichter der Etablissements. Papa war das egal, er war glücklich. Er bekam seine Wurst und er regte sich auch nicht darüber auf, dass die Soße direkt auf seiner Krawatte landete und sein Outfit ruinierte. Das war jedoch auch Pflicht, denn Udo war Weltmeister im Kleckern (lacht).

 

Was war das für Sie Prägendste, das Ihnen Ihr Vater mitgegeben hat?

Sein wichtigster Rat, den er mir ans Herz gelegt hat: „Hüte dich vor schwachen Menschen.“ Damit meinte er charakterlich und menschlich schwache Menschen ohne Rückgrat. Er sagte: „Wenn du einen Raum betrittst, dann wird es hell und du wirst in deinem Leben ganz oft erleben, dass Menschen sich an dich hängen und deine Energie absaugen wollen. Die werden versuchen, ihre eigenen Defizite mit einem so positiven Menschen wie dir auszugleichen. Damit hatte er recht und das funktioniert inzwischen viel besser. Ich habe gelernt, mich besser abzugrenzen. Ich würde sagen, ich bin bei 70 oder 80 Prozent angelangt, den Rest schaffe ich immer noch nicht. Viele Leute gehen durch die Welt und denken, das Leben sei ein einziges Wunschkonzert und bitten mich: „Könntest du mal hier und da, dies oder jenes tun.“ Leute, die kein Gespür haben, das das oft übergriffig ist. Inzwischen kann ich auch ‚nein‘ sagen. Und zwar sehr ruhig und ohne schlechtes Gewissen. Trotzdem habe ich manchmal noch das Gefühl, erklären zu müssen, warum ich ‚nein‘ sage.

 

Ihr Vater war ein politischer Mensch, auch ein Visionär. Wie würde er diesen schwierigen politischen Zeiten begegnen?

Was jetzt alles gerade passiert, hätte ihn massiv aufgeregt. Ich bin überzeugt, Udo hätte viele Mittel und Wege gefunden, den Finger in die Wunde zu legen, ohne zu verletzend zu sein – gleichzeitig, aber sehr deutlich seine Position und seine Meinung kundzutun. Er war niemand, der mit der Brechstange vorgegangen ist, und um sich gehauen hat. Das war nicht seine Art. Man sieht in vielen seiner Songs, in denen er deutlich gemacht hat, wie er zu gewissen Dingen steht. Manchmal war da auch ein Schmunzeln mit dabei. Er hätte genügend Material gehabt, das zu verarbeiten.  Vielleicht hätte er kein ganzes Lied gemacht, aber einzelne Zeilen. Er hätte schon alles eingebaut, und damit seine Haltung gezeigt.

 

Ende Oktober feiert die „Da Capo Udo Jürgens“- Show mit Pepe Lienhard und seinem Orchester Premiere. Die Tournee führt durch 18 Städte. Mit welchem Gefühl werden Sie das Konzert besuchen?

Dieser Abend wird sicher unglaublich emotional. Wir freuen uns sehr auf die Premiere der Show in Berlin. Pepe Lienhard war ein sehr enger Freund von Udo. Die beiden standen über 40 Jahre lang gemeinsam auf der Bühne. Mit Pepe hat er mehr Zeit verbracht als mit der Familie. Der Konzertveranstalter Semmelmann ist ein Voll-Profi in seinem Geschäft, und genauso wie Udo ein Perfektionist. Er wird mit Sicherheit eine unvergessliche Show produzieren. Wir haben deshalb großes Vertrauen, dass das alles schön wird. John und ich haben es autorisiert, aber mit der Abwicklung selbst haben wir nichts zu tun. Die Show ist eine Hommage an Udo, eine Verneigung vor dem großen Künstler. Ich bin sicher, er wäre glücklich und zufrieden, wenn er sehen könnte, mit wieviel Engagement und Liebe er in der Show gewürdigt wird.

 

Das Interview führte Martina Mack.

Quelle: Sony Music