Pressestimmen:
Udo Jürgens begeistert 7000 Fans
Wer hätte das gedacht? Udo Jürgens hatte am Freitagabend in der mit 7000 Zuhörern gefüllten Sparkassen-Arena in Kiel ein Heimspiel. Doch was im Sport oft einen Vorteil darstellt, benötigt er als Bonus gar nicht. Jürgens punktet mit seiner „Mitten-im-Leben“-Tour bei seinem Publikum sowieso: mit Kunst, Können und Kondition.
Der Norden ist so etwas wie seine zweite Heimat, seine Mutter stammt aus Probsteigerhagen. Als der gebürtige Klagenfurter noch Udo Jürgen Bockelmann hieß und ein Kind war, hat er oft in der Probstei gespielt. Nun spielt er in Kiel, und der austauschbare Standardspruch eines Künstlers, er freue sich, an diesem Abend in der Stadt X oder Y zu sein, erhält in diesem Fall eine gewisse Glaubwürdigkeit. Was wiederum zu dem seit zwei Monaten 80-Jährigen passt, der schon mehr als vier Jahrzehnten ein sanfter Protestsänger ist, ohne dass dies den Deutschen richtig bewusst wäre.
In der Ü70-Liga gibt es Kollegen wie Wolf Biermann, Reinhard Mey oder Hannes Wader, die Sozialkritik schon immer unverblümter formulierten - und oft mit erhobenem Zeigefinger. Udo Jürgens benötigt seine Zeigefinger am Flügel, und er verpackt seine politischen Bekenntnisse stets in Schlager. Schlagersänger werden in dieser Republik jedoch eher nicht ernst genommen. In vorliegendem Fall zeugt das von Ungerechtigkeit und Unwissenheit. Udo Jürgens hat schon 1971 in seinem
Lieb Vaterland, magst ruhig sein Missstände angeprangert, die nichts von ihrer Gültigkeit eingebüßt haben. „Lieb Vaterland, wofür soll ich Dir danken, für Versicherungspaläste oder Banken ...“
In diesem Sinne gestaltet Udo der Unbeugsame die erste Halbzeit seines Heimspiels mit Liedern, die seinen Fans zeigen sollen, worüber er noch immer nachdenkt. Über Geheimdienste beispielsweise, die im Privatleben von Bürgern herumschnüffeln (Der gläserne Mensch) oder über Frauen in Führungspositionen, mit denen die Welt etwas friedlicher wäre (Der Mann ist das Problem). Die Entertainer-Legende verrät, dass seine Kritiker den ersten Teil gerne als langweilig abqualifizieren würden. Seltsame Kritiker scheint der unverwüstliche Österreicher zu haben, über den selbst Anhänger der sogenannten Hochkultur behaupten, er würde bei Ihnen keine Allergien auslösen. Zu recht, denn sein Opus Die Krone der Schöpfung hat er einst mit den Berliner Philharmonikern eingespielt. Der Mix aus Klassik und Moderne, am Freitag veredelt vom erstklassigen Pepe-Lienhard-Orchester, unterstreicht Jürgens’ Qualitäten als E&U-Komponist.
Dieser Tiefgang wie auch bei Der gekaufte Drachen ist bestens geeignet, um unter die Haut zu gehen. Musik fürs Herz und das Vorspiel zur Party, die Mitte der zweiten Halbzeit mit der Zeile „Es war schon dunkel, als ich durch Vorstadtstraßen heimwärts ging ...“ beginnt. Im Dunkeln verlassen die Fans ihre Sitzplätze, es ist ja auch viel schöner, vor der Bühne im Stehen zu schunkeln. Jürgens schenkt seinen Griechischen Wein aus, die Hymne für den gelangweilten Ehemann Ich war noch niemals in New York darf nicht fehlen, die Klassiker Ehrenwertes Haus oder Aber bitte mit Sahne werden medley-mäßig verarbeitet, und schließlich erscheint er natürlich im weißen Bademantel zu einer Kurzfassung von Merci, Cherie.
So viel Energie ist erstaunlich. Wie Jürgens das mit sonorer Stimme macht, bleibt sein Geheimnis. Ist auch egal, er macht es so großartig, dass man sich eine Verlängerung dieser beeindruckenden Bühnenpräsenz wünscht. Mindestens bis 2022. Dann passt sein Alter vortrefflich in die Verszeile eines seiner großen Hits: Mit 88 Jahren ...
Quelle: kn-online.de